So kannst du dich von den Emotionen anderer abgrenzen - Fallbeispiel aus einem Coaching

Bestimmt hast du selbst schon oft erlebt, wie andere Menschen dich mit ihrem Stress, ihrer Unsicherheit und ihren Ängsten anstecken. Und dann weißt du vielleicht auch, dass diese Gefühle nicht von dir ausgehen.

Oft ist es aber auch so, dass wir gar nicht merken, dass wir uns gerade haben anstecken lassen. Und dann fühlt es sich so an, als wären es unsere eigenen Unsicherheiten und Ängste.

Ich möchte gerne eine persönliche Erfahrung aus einem meiner Coachings mit dir teilen, bei der ich eine kleine emotionale Verstrickung zwischen mir und meiner Klientin erkannt habe. Dieses Beispiel zeigt gut, wie leicht eine solche Verstrickung entstehen kann und wie du sie wieder lösen kannst.

Dieser Blogartikel wurde im November 2021 zum ersten Mal veröffentlicht und im September 2024 aktualisiert.

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Falls du wissen möchtest, was eigentlich alles zum Abgrenzen dazu gehört, kannst du das hier nachlesen: Was ist empathisches Abgrenzen?

Inhalt

Die Situation meiner Klientin

Meine Situation mit der Klientin im Coaching

So habe ich mich emotional von meiner Klientin abgegrenzt

Ich habe meinen – zuerst unbewussten – Reflex bewusst wahrgenommen

Ich habe mir die emotionale Übertragung bewusst gemacht

Wie wir meine Erfahrung für meine Klientin genutzt haben

Du kannst lernen, dich von den Emotionen anderer abzugrenzen

Die Situation meiner Klientin

Ich erzähl dir kurz von meiner Klientin, damit du ein möglichst gutes Bild von der Situation bekommst. Das besagte Coaching ist übrigens schon ein paar Jahre her. Und ich habe die Erlaubnis der Klientin, hier etwas ausführlicher darüber zu berichten. Dennoch können natürlich keine Rückschlüsse zu ihrer Person gezogen werden.

Ein Glaubenssatz, der sich im Laufe des Coachings bei meiner Klientin gezeigt hat, war „Ich habe keine Zeit für mich“.

Dieser Glaubenssatz beruhte unter anderem auf der Grundannahme „Ich bin nicht gut genug“. Diese Grundannahme ging über in die Lebensregeln „Ich muss mir Mühe geben“ und „Ich muss es allen recht machen“.

Wenn sie diesen Lebensregeln folgt, stellt sie eigene Bedürfnisse hinten an und nimmt sich wenig Zeit für sich selbst.

Eine andere Erkenntnis im Coaching war, dass meine Klientin vermutlich die Unsicherheit ihres Partners noch zusätzlich als ihre eigene Unsicherheit empfand. Was dazu führte, dass sie ihren Lebensregeln hier noch viel stärker folgte.

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Je mehr solcher Lebensregeln wir haben, desto gestresster sind wir. Und je gestresster wir sind, desto unsicherer fühlen wir uns. Diese Unsicherheit führt dazu, dass wir versuchen, die Kontrolle zu behalten: Wir suchen unbewusst die ganze Zeit nach der nächsten möglichen Gefahr – um sie dann, am besten zu vermeiden.

Gesünder ist es allerdings, die Lebensregeln anzuzweifeln und zu verändern. Was wir im Coaching auch gemacht haben. Damit meine Klientin nach und nach immer mehr zur Ruhe kommen und sich sicherer fühlen konnte. Denn wenn sie sich sicher fühlt, trifft sie ganz andere Entscheidungen, sie verhält sich anders und auch die Beziehungen werden insgesamt sicherer und stabiler.

Hieran lässt sich gut erkennen, warum es so wichtig ist, dass wir immer bei uns selbst anfangen, wenn wir was verändern möchten. Wir selbst sind der Bereich, den wir direkt beeinflussen können. Und von uns aus zieht sich dieser Kreis dann immer weiter…

Meine Situation mit der Klientin im Coaching

In meinen Coachings begleite ich immer auch per E-Mail. An einer bestimmten Stelle des Prozesses haben wir außerdem ein digital beschreibbares PDF genutzt, um wichtige Erkenntnisse unseres (schriftlichen) Austausches übersichtlich festzuhalten.

Nun schrieb mir meine Klientin: „Ich finde es gerade sehr anstrenegend, immer wieder von PDF und Mail hin und her zu wechseln … weil es auch wieder Zeit wird, mich mal auszuruhen.“

Als ich das gelesen habe, kam mir für einen Moment der Gedanke: „Ich hab es ihr nicht leicht genug gemacht. Jetzt ist sie wegen mir gestresst.“

Es reicht übrigens auch schon ein Gedanke wie „Jetzt ist sie gestresst. Ich muss ihr helfen.“ – ohne, dass ich den Grund für den Stress auf mich beziehe. Und manchmal habe ich auch noch gar keine konkreten Gedanken. Ich merke dann nur eine ganz feine körperliche Reaktion und weiß schon: Hier passt was nicht.

Genau in dem Moment war ich aber drin, im emotionalen Stresskreislauf…

Ich habe mich von dem Stress meiner Klientin anstecken lassen. Weil ich es aber direkt bemerkt habe, konnte ich sofort ganz einfach wieder aussteigen.

Wie ich das gemacht habe und welche Zusammenhänge ich mir dafür bewusst gemacht habe, beschreibe ich dir jetzt. Und gleichzeitig möchte ich dir auch mitgeben, warum es für meine Klientin hilfreich war, mir diesen Satz so aus dem Bauch raus zu schreiben.

So habe ich mich emotional von meiner Klientin abgerenzt

Zuerst wollte ich mich rechtfertigen, dass es ohne PDF viel unübersichtlicher wäre.

Dieser Gedanke, dass ich es ihr nicht leicht genug mache, dass sie jetzt meinetwegen gestresst ist, dass ich mich dafür rechtfertigen und eine leichtere Alternative bieten muss, ist ein ganz normaler Reflex.

Sowas haben wir alle. Der eine mehr, der andere weniger. Und auch thematisch unterscheidet sich das immer ein bisschen von Mensch zu Mensch. Und es ist auch immer abhängig von der Situation.

Wichtig ist an dieser Stelle erst mal nur: Diese Reflexe zu haben, ist absolut menschlich und in Ordnung. Du musst nicht versuchen, sie zu vermeiden. Das wirst du wahrscheinlich auch nicht können.

Ich habe meinen – zuerst unbewussten – Reflex bewusst wahrgenommen

In dem Moment, in dem ich automatisch reagieren wollte, habe ich bemerkt, dass ich reagieren will. Das klingt vielleicht erst mal komisch. Aber oft folgen wir unseren Handlungsimpulsen unbewusst. Besonders dann, wenn wir im Stress sind.

Als ich den Stress meiner Klientin gespürt habe, entstand ein Handlungsdruck. Und der entsteht, damit ich schnell etwas gegen den Stress tun kann. Wenn ich also meiner Klientin den Stress nehmen kann, muss auch ich ihn nicht mehr spüren. Uns beiden geht es besser. Alles ist schön. Das zugrunde liegende Problem ist damit aber nicht gelöst und eine ähnliche Situation wartet schon hinter der nächsten Ecke.

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Eine gute Selbstwahrnehmung hilft dabei, solche emotionalen Verstrickungen früh zu erkennen. Die kannst du u.a. mit Achtsamkeitsübungen und Meditationen trainieren. Und wenn du dann noch mitfühlend mit dir selbst umgehst, kannst du deine Wahrnehmungen richtig gut für dich nutzen.

Ich habe mir die emotionale Übertragung bewusst gemacht

Für mich war es jetzt nicht sooo schwer, diese Übertragung zu erkennen. Ich wusste ja durch unsere Zusammenarbeit schon, dass sich die Grundannahmen und Lebensregeln meiner Klientin nach außen hin als Zeitmangel widerspiegeln.

Gleichzeitig weiß ich, wie solche inneren Abläufe funktionieren und dass ein Handlungsdruck bei mir entsteht, wenn andere gestresst sind.

Ich hab also sehr schnell eins und eins zusammengezählt: Hier ist gerade eins der Muster meiner Klientin aktiv („Ich habe keine Zeit für mich“, gekoppelt an die Lebensregel „Ich muss mir Mühe geben/Ich muss es allen recht machen“).

Direkt nachdem ich das erkannt habe, hab ich gespürt, wie die Anspannung von mir abfällt. Ohne, dass ich Zeit und Kraft dafür aufbringen musste, mir eine neue Lösung für meine Klientin zu überlegen und umzusetzen.

Eine Lösung, die ihr am Ende nicht geholfen hätte. Ich hätte ihr damit zu viel abgenommen und sie weiter in ihrem Stresskreislauf gehalten – und mich selbst gleich mit. Es hätte nicht lange gedauert und wir hätten uns in einer nächsten, sehr ähnlichen Situation wiedergefunden.

Wenn ich selbst noch eine Lebensregel hätte, die sowas sagt wie „Du musst alles richtig und es allen recht machen, damit sich niemand über dich beschweren kann…“, würde sich mein Stress noch verstärken und der Handlungsdruck wäre noch größer.

Erkennst du den Teufelskreis?

Wie wir meine Erfahrung für meine Klientin genutzt haben

Ich habe meiner Klientin beschrieben, was ich kurz wahrgenommen habe.

Zum einen, weil ich deutlich machen wollte, dass wir immer erst mal irgendwo mit reingezogen werden. Egal, wie viel wir schon an uns gearbeitet haben. Und egal, wie lange wir schon geübt haben, uns abzugrenzen.

Unbewusste reflexhafte Abläufe kannst du nicht bewusst vermeiden. Damit machst du dir nur neuen Stress. Und, wie ich es oben schon beschrieben habe, sorgt Stress dafür, dass du dich unsicher fühlst. Andersrum übrigens genauso: Unsicherheit hält den Stresspegel oben. Und je gestresster und unsicherer du dich fühlst, desto schwerer fällt es dir, dich emotional abzugrenzen.

Zum anderen konnte sie meine persönliche Erfahrung auf ihre Situation übertragen und noch mal prüfen, inwiefern ihre Lebensregeln und ihr Wunsch nach Kontrolle – wenn sie dem nachgeht – ihr die Zeit rauben. Zeit, die sie eigentlich nutzen wollte, um sich Ruhe zu gönnen.

Meine Klientin hat von mir außerdem noch den Impuls bekommen, ihren Satz und die dahinterliegenden Lebensregeln anzuzweifeln. So kann sie die ursprünglich stressige Situation neu bewerten, was sie (intuitiv) zu einer neuen Lösungsidee führt. Dafür haben wir vorab im Coaching schon verschiedene Möglichkeiten besprochen, an die ich sie nur noch hin und wieder erinnerte.

Und wenn es ihr zu verkopft wurde, konnte sie ihre bildliche Vorstellungskraft nutzen, um ihre Emotionen zu regulieren. Auch das haben wir im Coaching schon geübt. (Imaginationen nutze ich für mich übrigens am liebsten. Die wirken direkt auf den Körper und der Kopf hat Pause.)

Du kannst lernen, dich von den Emotionen anderer abzugrenzen

Jetzt kennst du nicht immer die Glaubenssätze, Grundannahmen und Lebensregeln deiner Mitmenschen. Das musst du auch nicht. Für dich reicht es, wenn du dir bewusst machst, dass deine (gedankliche) Reaktion nur mit dir zu tun hat.

Außerdem solltest du klar trennen, wofür du die Verantwortung übernehmen kannst und wofür nicht. Für die Ängste und den Ärger anderer bist du nicht verantwortlich. Du kannst zwar durch dein Verhalten Ängste und Ärger in anderen auslösen, die Ursache, dass Menschen emotional auf dein Verhalten reagieren, liegt aber woanders. Was kein Freifahrtschein ist, um sich wie die Axt im Walde zu benehmen. Rücksicht und Verantwortung meinen hier aber nicht dasselbe.

Du bist auch nicht dafür verantwortlich, die Emotionen anderer zu regulieren. Du darfst natürlich dabei unterstützen. Aber gerade Menschen, die sehr viel für andere da sind, überschreiten diese Grenze oft.

Achte in nächster Zeit mal auf deine Handlungsimpulse und Gedanken. Besonders, wenn du Stress und Druck spürst. Versuche, diesem Handlungsdruck nicht nachzugehen und achte auf die dann folgenden (leisen) Gedanken.

Ich hoffe, dass du aus meiner Erfahrung für dich etwas mitnehmen kannst. Wenn du Fragen dazu hast, schreib mir gerne.

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Was es mit den Glaubenssätzen auf sich hat und wie du sie anzweifeln kannst, habe ich dir hier beschrieben: Empathisch abgrenzen in 3 Schritten

Foto von McKylan Mullins von Pexels

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Anett Enderlein - Psychologisches Coaching

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