Wer introvertiert ist, springt eher nicht mit Trommelwirbel und Anlauf ins kalte Wasser. Introvertierte meiden gerne das Risiko, informieren sich und machen einen Plan, bevor sie sich langsam Schritt für Schritt in unbekannte Gewässer wagen. Dafür verantwortlich ist die etwas andere Beschaffenheit des Nervensystems.
Tür zu! Endlich allein! Wie schön diese Ruhe doch ist! Ich koche mir einen Tee, schnappe mir das Buch, auf das ich mich schon seit Tagen freue und kuschle mich auf meine Couch. Hier könnte ich es tagelang aushalten. Ich brauche nicht ständig Menschen um mich herum. Im Gegenteil, so etwas stresst mich schnell und ich tanke viel meiner Energie durch das Alleinsein. Das heißt nicht, dass ich nicht gern unter Leuten bin! Mir reicht einfach eine geringere Dosis. Ich bin introvertiert.
Für die Extravertierten (auch Extrovertierte genannt) ist das wenig nachvollziehbar. Sie würden an zu viel Alleinzeit kaputt gehen. Denn allein sein kostet sie viel Kraft. Im Gegensatz zu mir ziehen sie ihre Energie zu einem großen Teil aus dem Zusammensein mit anderen Menschen. Man könnte auch sagen: was den Introvertierten stresst, entspannt den Extravertierten.
11 Anzeichen dafür, dass du introvertiert bist
Wir sind immer beides – introvertiert und extravertiert. Je nach Situation kann die eine oder die andere Seite überwiegen. Selbst, wenn sich verschiedene Situationen sehr ähneln, können diese in uns unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Je nach dem, welche anderen Einflüsse sonst gerade noch eine Rolle spielen. Introvertierte können sich also durchaus extravertiert verhalten.
Ich mag zum Beispiel keine Veranstaltungen, bei denen viele Menschen aufeinander treffen und ich netzwerken oder vor einer Gruppe reden muss. Prinzipiell macht es mir aber weniger aus oder ich freue mich sogar darauf, wenn ich ausgeruht bin oder es sich um eine Veranstaltung meiner Wahl handelt.
Auch, wenn wir beide Persönlichkeitseigenschaften in uns tragen, gibt es meist eine relativ eindeutige Tendenz zu einer Seite. Folgende Merkmale sprechen dafür, dass du eher introvertiert bist:
1. Du bist gerne allein
2. Du bist vorsichtig
3. Du analysierst gerne… und lange
Du betrachtest die Dinge gerne intensiv von allen Seiten, bevor du zu einem Schluss kommst. Du meldest dich erst zu Wort, wenn du denkst, genug zu wissen und wenn du der Meinung bist, dass es auch relevant genug ist, um gesagt zu werden. Extrovertierte lieben es stattdessen, sich einfach auszuprobieren und über Dinge zu reden, die sie noch nicht wissen.
4. Du hältst dich mit deinen Gefühlen zurück
5. Du kannst nur schwer Nein sagen
6. Du hast Ausdauer
7. Du neigst zur Beständigkeit
8. Du bist ruhig und bescheiden
9. Du bist weniger empfänglich für Belohnungen
10. Du telefonierst nicht gerne
Persönlich mit manchen Menschen zu sprechen kann schon mal Überwindung kosten. Aber noch mehr fordert es dich heraus, wenn du mit ihnen telefonieren sollst. Anstehende Telefonate zögerst du so lange wie es geht hinaus. Dein Medium ist das Schreiben. Hier kannst du in Ruhe deine Gedanken ordnen (oder sie überhaupt erst zu Ende denken).
11. Du magst keinen Small Talk
Das Nervensystem macht den Unterschied
Ob man introvertiert oder extravertiert ist, hängt von der Beschaffenheit unseres Nervensystems ab. Ein Teil unseres Nervensystems arbeitet wie ein Autopilot. Sämtliche Abläufe passieren automatisch ohne unser bewusstes Zutun. Das soll unser Überleben sichern. Stell dir nur mal vor, du müsstest jedes Mal bewusst deinen Herzschlag steuern oder ein- und ausatmen. Gleichzeitig hättest du noch allerhand anderer Verpflichtungen dieser Art. Wie gut, dass wir das nicht müssen!
Zum besseren Verständnis möchte ich dir kurz ganz vereinfacht erklären, wie unser zentrales und vegetatives (autonomes) Nervensystem arbeitet, um dir danach die Unterschiede zwischen Introvertierten und Extravertierten zu zeigen.
Das zentrale Nervensystem – unser Gehirn als Anlaufstelle
Sympathikus – „Los geht’s!“
Der Sympathikus ist auf Leistung ausgerichtet. Seine Aufgabe ist es zum Beispiel schnelle Bewegungen zu ermöglichen, den Herzschlag zu beschleunigen oder die Verdauung zu blockieren. Das benötigen wir beispielsweise in einer Gefahrensituation, in der wir blitzschnell reagieren müssen. Damit sichert der Sympathikus unser kurzfristiges Überleben. (Das sind übrigens Stressreaktionen, die hier ausgelöst werden. Und wie du sehen kannst, sind diese durchaus sinnvoll. Deswegen ist Stress erst einmal nichts Schlechtes. Mehr dazu findest du hier.)
Parasympathikus – „Immer mit der Ruhe!“
Dopamin – der Botenstoff für den Sympathikus
Acetylcholin – der Botenstoff für den Parasympathikus
Amygdala – die Vorsichtszentrale
Im Gehirn gibt es einen Emotionsbereich (das limbische System). Darin befindet sich die Amygdala (Mandelkern). Hier werden Gefahren eingeschätzt und Signale an das vegetative Nervensystem geleitet. Droht beispielsweise Gefahr, wird der Körper durch Dopamin in Alarmbereitschaft versetzt.
Im limbischen System befindet sich auch das Belohnungssystem, das an der Entstehung angenehmer Gefühle beteiligt ist.
Neurobiologische Unterschiede bei Introvertierten und Extravertierten
Diese neurobiologischen Prozesse bei Introvertierten und Extravertierten wurden miteinander verglichen und ergaben folgende Unterschiede:
- Introvertierte sind stärker durch den Parasympathikus (den Ruhenerv) geprägt und reagieren empfindlicher auf Dopamin. Dadurch kommt es eher zu Überstimulation durch äußere Eindrücke.
- Bei Extravertierten ist der Sympathikus (der anregende Teil) etwas dominanter. Sie sind experimentierfreudiger und risikobereiter. Außerdem können sie über ihre Sinne mehr Reize aufnehmen und empfinden viele neue Eindrücke als angenehm. Sie werden schneller unruhig und reagieren gereizt, wenn sie zu wenig Außenreizen ausgesetzt sind. Deshalb langweilen sich Extravertierte schnell bei Routinearbeit oder in ruhiger (langweiliger) Gesellschaft.
- Für die Aufnahme von Sinnesreizen sind bestimmte Bereiche im Gehirn zuständig. Bei Introvertierten sind diese Bereiche etwas weniger durchblutet als bei Extravertierten. Der Ausgleich: Eine bessere Durchblutung in den Bereichen, die für Lernen, Erinnern und Problemlösen zuständig sind. (Auch Introvertierten kann bei Routinearbeiten schnell langweilig werden, wenn es allgemein zu wenig Futter fürs Hirn gibt!)
- Introvertierte haben außerdem eine längere Leitung: Ihre Nervenbahnen sind länger und Reize müssen einen weiteren Weg zurück legen. Damit wird mehr Zeit für die Übermittlung dieser Reize benötigt. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass Introvertierte nur schlecht mit Unterbrechungen umgehen können. Reißt man sie heraus, während sie sich in ein Thema einarbeiten, kostet es viel Mühe, wieder hineinzufinden.
- Die Amygdala (Vorsichtszentrale) bei Introvertierten reagiert empfindlicher. Deswegen geraten sie schneller in Stress und empfinden Risiken intensiver als Extravertierte. Diese bleiben hingegen auch in Stresssituationen gelassener und behalten einen klaren Kopf.
- Bei den Extravertierten ist es das Belohnungssystem, das empfindlicher reagiert und schneller auch stärkere Glücksgefühle auslöst.
Mehr als nur Schwarz oder Weiß
Introvertiert sein ist nichts Schlechtes. Genauso wie extravertiert sein. Jeder Persönlichkeitstyp hat seine Stärken. Und zu jeder Stärke gibt es Schattenseiten.
Es trifft auch nicht jedes Merkmal auf jeden Introvertierten gleichermaßen zu. Tendenzen sind aber meist klar erkennbar, wenn man nicht gerade zu den Ambivertierten gehört (diese sind zu gleichen Teilen introvertiert wie extravertiert).
Es bringt also wenig, sich als Introvertierter über längere Zeit ausgeprägt extravertiert zu verhalten oder von Extravertieren zu verlangen, sie mögen doch mal ruhiger werden. Unsere Biologie macht da einfach nicht mit. Versuchen wir doch stattdessen lieber, die Menschen so sein zu lassen, wie sie eben sind und dabei ihre besten Seiten und guten Absichten zu ergründen.
Stress kann übrigens bewusst reguliert werden. Egal, ob dieser durch zu viel oder zu wenig Reize ausgelöst wird.
Manchmal merken wir aber gar nicht, wie gestresst wir wirklich sind, weil wir uns an ein gewisses Stresslevel gewöhnt haben und es für normal halten. Mehr dazu kannst du hier nachlesen: Wie du deinen Stress messen kannst und warum du das tun solltest
Bist du introvertiert oder extravertiert?
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Foto von Andrea Piacquadio von Pexels
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